Die Presselügen der „Lügenpresse“

Den üblichen Narrativ über die „Lügenpresse“ und den angeblichen Vertrauensverlust in die Medien habe ich immer ganz putzig gefunden, weil er als Ausgangspunkt ein naives Vertrauens der Mehrheit der Bevölkerung in die Medien vorraussetzt, den ich so nie wirklich wahrgenommen habe. Die Medien erschienen demnach dem einfachen Mensch von der Straße früher als neutrale Berichterstatter, quasi öffentliche Wahrheitsverbreitungsinstitutionen, nun galten sie aber vielen Bürger als „gleichgeschaltete“ Propagandamaschinen, die kritiklos die Positionen der Regierung verbreiten. Diese Dichotomie wird selten hinterfragt (zumindest habe ich das bis jetzt kaum erlebt). Diejenigen unter den Medienleuten, die sich mit dem Komplex beschäftigen, geben den Anschuldigungen entweder (partiell) recht oder sie greifen die Teile der Bevölkerung, die diese Ansichten angeblichen vertreten, dafür an.

Ich habe allerdings, wie gesagt, Probleme, die ganze Konstruktion ernst zu nehmen. Dass es Leute gibt, die die großen Medien für Lügner halten, will ich gar nicht leugnen. Für einen Vertrauensverlust bräuchte es aber auch den Zustand, in dem das Vertrauen noch so unberührt war, wie es das Narrativ impliziert. In dem der Medienkonsument, der naiv alles glaubte, was er in Zeitungen las und im Fernsehen sah, noch den Normalfall darstellte. Der existierte aber (zumindest in meiner Wahrnehmung) schon ziemlich lange nur als Feindbild in der Phantasie von Verschwörungsideologen und Esotherikern. Dass die Medien eben keine gemeinnützigen Informationsvereine, sondern kapitalistische Unternehmen sind, denen Wahrheit nichts und Profit alles bedeuteten, war nur einer zu vernachlässigen Minderheit der Bevölkerung unbekannt. Die wenigen Langzeitstudien, die ich zu diesen Themen gelesen habe, scheinen die Position auch zu bestätigen.

Wenn dieses Narrativ also so wenig Realitätsbezug hat, dann stellt sich natürlich die Frage, warum es so beliebt ist. Oder, um genauer zu sein, warum gerade die Medien diese Anschuldigungen gegen sie selbst so sehr verbreiten.

Die Antwort darauf wurde mir erst in den letzte Monaten klar, als sich spiegel boot die „Lügenpresse“-Debatte zunehmend mit der um die Flüchtlingskrise vermischte. Hier zwingt sich ein Vergleich mit der Asyldiskussion der Neunziger geradezu auf. Auch zu dieser Zeit handelte sich die deutsche Mainstream-Presse einen schlechten Ruf ein, nur aus anderen Gründen: Die rassistische Hetze der großen Medien, allen voran dem Springer-Publikationen und dem Spiegel, gegen die Asylsuchenden führten maßgeblich zu der aufgeheizten Stimmung, die schließlich in mehreren Anschlägen gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte sowie schließlich zu der Beschneidung der Grundrechts auf Asyl durch den sogenannten „Asylkompromiss“ von 1993 gipfelte. Noch heute gibt es kaum einen polit- oder geschichtswissenschaftliche Artikel, der nicht mit der berüchtigten „Das Boot ist voll“-Schlagzeile des Spiegels bebildert ist.

Für die deutschen Medien ist so etwas natürlich nicht wünschenswert.

Es ist aber auch nicht davon auszugehen, dass sich die politischen Positionen der deutschen Verlagshäusern seitdem groß geändert haben. Sie wissen allerdings durch das Nachspiel der Neunziger nun, dass sie sich damit in der Bevölkerung nicht nur Freunde machen. Darum gehen sie jetzt subtiler vor.

Damit erklärt sich auch ihre Faszination für den „Lügepresse“-Vorwurf: Wie ein konservativer Politiker, der die rechtsradikale Konkurrenz beschwört, um seine eigene rechte Politik zu begründen, können sie jetzt die hetzerische Berichterstattung über die Flüchtlinge bringen, die sie ohnehin verbreiten wollen, das Ganze aber als eine Reaktion auf Kritik verkaufen. Sie präsentieren sich so als arme Getriebene, wenn sie nun wieder hetzen, können aber den schwarzen Peter dafür an eine Randgruppe, nämlich die „Lügenpresse“-Rufer von Pegida und Co., abschieben.