Zu Freiwild: Der Fisch stinkt vom Kopf her

Zu der südtiroler Rockband Freiwild und ihren Aufstieg in den deutschen Rock-Mainstream ist in den letzten Monaten schon viel kluges geschrieben worden. Ein Aspekt, der für meinen Geschmack häufig zu kurz kommt, ist aber auch die Rolle, die die Größen der Rockpresse und -industrie dabei gespielt haben.

Denn immerhin, rechtsaffine Deutschrockbands und Möchtegern-Onkelz-Nachfolger hat es in den letzten zwanzig Jahren mehr als genug gegeben, ohne, dass auch nur eine davon die Medienunterstützung und den kommerzielle Erfolg genießen konnte, die Freiwild heute bekommen.

Dafür haben sich allerdings auch die verschiedensten Akteure der etablierten Rockindustrie ganz schön in die Bresche geworfen: Die Musikzeitschrift Rock Hard widmeten den Südtirolern über Monate mehrere Titelgeschichten und führte ein auffällig kritikloses Interview mit ihnen durch. Dafür riskierte die Rockjournalisten auch den offenen Konflikt mit einen großen Teil ihrer Stammleserschaft, wie im offiziellen Forum der Rock-Hard-Website nachzulesen ist. Auch der als Rockzeitschrift getarnte Reklamekatalog EMP opferte der rechtsoffenen Band ihre Aufmacherslots, auch wenn hier die Kritiklosigkeit weniger überrascht. Des weiteren hielt sich auch das Wacken Open Air sich mit Werbekampagnen zu Freiwilds Gunsten nicht zurück und verteilte in den letzten Jahren mehrere Werbegeschenke der Bands unter den Festivalbesuchern, auch in den Jahren, in denen sie dort nicht auftrat.

So weit ist das Ganze auch den meisten anderen, die sich mit diesen Thema in letzter Zeit beschäftigt haben, aufgefallen. Die Mehrheit von ihnen beschäftigt sich mit der Rolle der Musikmedien aber nicht weiter. Sie weisen vielleicht auf das derzeitige gesellschaftliche Klima hin, dass sich in Zeiten von Sarrazin, Augstein und NSU-Komplex merklich in Richtung eines Wiederaufstiegs nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ressentiments bewegt, implizieren damit wohl, dass die Medien mit ihren Pro-Freiwild-Kampagnen dieses Klima bloß aus kommerziellen Interesse Rechnung tragen.

Ich finde das aber nicht wirklich überzeugend.

Und zwar aus diesen Grund: Ein solchen gesellschaftliches Klima gab es in den neunziger Jahren auch. In dem Jahrzehnt, dass von xenophob und rassistisch motivierten Pogromen, die zunächst von einen Teil der deutschen Öffentlichkeit gebilligt oder zumindest toleriert wurden, ebenso geprägt wurden wie vom nationalen Rausch der Wiedervereinigung, den berüchtigten flüchtlingsfeindlichen Kampagnen der großen Medien und dem „Asylkompromiss“ der deutschen Parteien, hätte die Musikpresse und -industrie sich wohl mit einer Band wie Freiwild, von der es damals, wie gesagt, mehr als genug gab, ebenso eine goldene Nase verdienen können wie heute. Dennoch war ihr Verhalten ein völlig anderes.

Die meisten Musikzeitschriften, nicht zuletzt auch die Rock Hard*, boykottierten damals nicht nur die Böhsen Onkelz (die sich, im Gegensatz zu Freiwild, halbwegs Mühe gaben, sich von ihrer braunen Vergangenheit zu distanzieren bzw. zumindest keine rechtspolitische Musik mehr spielten), sondern praktisch die gesamte norwegische Metalszene als Reaktion auf vereinzelte rechtsradikale Tendenzen innerhalb des dortigen Black Metals. Ich erinnere mich auch daran, dass zeitweise sogar die Death Metal-Band Morbid Angel boykottiert wurde, nachdem sie auf einer Tour mit ihren deutschen Kollegen von Kreator in Konflikt über die Behandlung neonazistischer Besucher auf ihrer gemeinsamen Tour gerieten.

Die Medien waren also damals durchaus in der Lage, eine Politik zu betreiben, die den vorherrschenden gesellschaftlichen Klima widersprachen, wenn sie sich dazu entschieden.

Genauso wie sie sich heute dazu entschieden haben, eine Band wie Freiwild zum Erfolg zu schreiben.

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* Anmerkung 24.11.2013: Ich bin darauf hingewiesen worden, dass meine Annahme, das Rock Hard  hätte in den Neunzigern den Boykott gegen die Onkelz mitgetragen, nicht den Tatsachen entspricht. Die übrigen Boykotte, die ich in dem Satz nenne, sind jedoch meines Wissens im Bezug auf diese Zeitschrift noch zutreffend. Ich habe jetzt allerdings keine Lust mehr, einen ein halbes Jahr alten Satz nochmal komplett umzuschreiben.